Über den Heilpraktikerberuf

Was sind Heilpraktiker? Wie werden sie ausgebildet und wie arbeiten sie? Was sind die gesetzlichen Grundlagen dieses Berufes? Und wann gehe ich als Patient überhaupt zum Heilpraktiker? Auf dieser Seite versuche ich, einen persönlichen Überblick über Wissenswertes zum Heilpraktikerberuf zu geben und einige der damit aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

Wann geht man zum Heilpraktiker?

Historische Entwicklung des Heilpraktikerberufes

Selbstverständnis des Heilpraktikers

Ausbildung des Heilpraktikers

Begriffsverständnis der Naturheilkunde


Das Wichtigste zuerst: Wann geht man eigentlich zum Heilpraktiker?

Allgemeinverbindlich lässt sich eine solche Frage nicht beantworten. Trotzdem möchte ich den Versuch machen und Ihnen einige hoffentlich hilfreiche Ideen an die Hand geben:

  • Viele Patienten finden Ihren Weg zum Heilpraktiker, weil sie an schwer zu behandelnden chronischen Erkrankungen leiden oder als »schulmedizinisch austherapiert« gelten. Wiewohl es natürlich niemals eine Garantie für einen Heilerfolg mit naturheilkundlichen Maßnahmen geben kann, ist der völlig andere Grundansatz des Heilpraktikers - das in den Mittelpunkt stellen des Menschen statt der Krankheit - gewiss eine Überlegung wert.
  • Manche Menschen haben zu Recht die Idee, dass naturheilkundliche Methoden einen gesundheitspräventiven Effekt haben können. Das vorsorgliche Unterstützen der Gesundheit eines Menschen, so dass dieser gar nicht erst in die Verlegenheit kommt, zu einem Patienten im Sinne eines »Erkrankten« zu werden, ist eine der vordringlichen Aufgaben echter Naturheilkunde.
  • Im Falle schwerwiegenderer Erkrankungen wünschen sich viele Patienten naturheilkundliche Begleittherapien. Auch dafür kann die Konsultation eines Heilpraktikers eine hilfreiche Möglichkeit sein. Das gilt natürlich auch, wenn der Wunsch naturheilkundlicher Nachbehandlung durchgemachter Erkrankungen besteht.
  • Einer Reihe vermeintlich harmloser Krankheitsbilder, solche wie »Heuschnupfen«, Schnupfen- und Erkältungsneigung im Allgemeinen, chronische Hautausschläge, gelegentliche Schlafstörungen und dergleichen, ist aus schulmedizinischer Sicht manchmal schwer beizukommen. Auch das kann ein guter Grund sein, einen Heilpraktiker aufzusuchen.

Allgemein hilfreich mag ein Grundverständnis heilpraktischer Aufgaben sein. Vornab: Krankheitsbekämpfung in diesem Sinne gehört hier genau genommen gar nicht dazu! Positive Änderungen bei vorliegenden Krankheiten können im Zuge heilpraktischer Zuwendung mittels naturheilkundlicher Methoden auftreten - aber genau genommen ist das nicht der erklärte Schwerpunkt der Arbeit eines Heilpraktikers:

Denn ich konzentriere mich auf Sie als ganzer Mensch - und nicht allein auf Ihre Krankheit!

Naturheilkunde in diesem Sinne hat das Ziel, den Menschen in seiner körperlichen, seelischen, geistigen und sozialen Gesamtheit zu erkennen und dahingehend zu unterstützen und zu stärken. Die Selbstheilungskraft eines lebenden Organismus steht und fällt aus Sicht der Naturheilkunde im harmonischen Fließgleichgewicht (»Homöostase«) der Gesamtheit »Mensch«. Das Diagnostizieren und Behandeln aktuell manifester Krankheiten, vor allem solche chronischer aber durchaus auch akuter Art, gehört in diesem ganzheitlichen Verständnis des lebendigen Menschen selbstverständlich dazu. Aber: Es steht eben nicht im ausschließlichen Mittelpunkt!

Für was soll ich mich entscheiden: Arzt oder Heilpraktiker?

Der Heilpraktiker ist in diesem Sinne eben kein »Konkurrenzberuf« des Arztes. Ein »Entweder - Oder« kann es aus dieser Sicht gar nicht geben. Der Arztberuf hat nach meiner Überzeugung ganz andere Aufgaben, zum Beispiel die Sicherstellung naturwissenschaftlich fundierter medizinischer Grund- und Akutversorgung und die tatsächliche Bekämpfung von Krankheiten.

Als Heilpraktiker gilt meine Aufmerksamkeit dem Menschen im ganzheitlichen Sinne: Denn Gesundheit bedeutet gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO)  nicht allein die Abwesenheit von Krankheit. Sie ist im Gegenteil definiert durch einen Zustand völligen Wohlbefindens körperlicher, psychischer und sozialer Art.


Gedanken zur historischen Entwicklung des Heilpraktikerberufes

In Deutschland gibt es aktuell zwei Berufsbilder, die eigenverantwortlich die Heilkunde ausüben dürfen: den des Arztes und den des Heilpraktikers. Alle anderen medizinischen Berufe, etwa solche der Kranken- und Altenpflege, der Physiotherapie, der ArzthelferInnen, oder des Rettungsdienstes, gelten juristisch als "Heilhilfsberufe". Im folgenden Absatz werden einige Aspekte der geschichtlichen Entwicklung bis zur aktuellen Situation in Deutschland skizziert.

Die Medizin und Naturheilkunde hat weltweit eine Tradition, die sich teilweise Jahrtausende zurückverfolgen lässt. Kranke zu begleiten und ihnen zu helfen dürfte eine der ältesten Notwendigkeiten menschlicher Zivilisationen darstellen.

Schon im Mittelalter formierte sich, insbesondere in Europa, eine zweigeteilte Berufsstruktur der Heiler. Aus dem Wissen der Erfahrungsheilkundler, die ihr Handwerk auf ganz unterschiedlichen Wegen erlernten, begannen sich organisiertere Ausbildungen herauszuentwickeln. Der Beruf des Arztes oder »Medicus« war geboren. Zunehmend war es diese Berufsklasse der Heilkundigen, die intensive staatliche Unterstützung und Förderung aufgrund akademischer Ausbildung erfuhren.

Demgegenüber standen die nichtärztlichen Heilkundigen verschiedenster Art. Ihr Schwerpunkt war die Erfahrungsheilkunde. Sie erlernten ihr Handwerk »auf der Straße«. Oft stand der Nachwuchs bei erfahrenen älteren Behandlern in einem langjährigen Ausbildungsverhältnis. Lernen durch Zusehen - Lernen durch Praxis und Erfahrung: Derart dürfte die Schulung zukünftiger nichtärztlicher Heiler am besten beschrieben sein. Die folgerichtige Individualität eines solchen Ausbildungsweges dürfte einer der entscheidenden Gründe für das Erhalten und Weiterentwickeln verschiedenster Behandlungsansätze und Sichtweisen sein, die bis heute die Vielgestaltigkeit der Naturheilkunde mitbegründen.

Nach anhaltenden kontroversen Diskussionen wurde 1869 in Deutschland die Kurierfreiheit eingeführt. Gemäß dieser durfte sich jeder, der dies wünschte, heilkundlich um Patienten bemühen. Auf die Trennung zwischen Arzt und Nichtarzt wurde im Rahmen dessen allerdings besonderes Augenmerk gelegt. Nichtärztliche Heiler mussten peinlich genau achtgeben, sich nicht als »approbierter Arzt« darzustellen oder mit diesen verwechselt werden zu können.

Das Heilpraktikergesetz trat erstmals im Jahr 1939 in Kraft. Ursprünglicher Sinn und Zweck war aber nicht die Förderung der Heilpraktikerschaft, sondern im Gegenteil die Abschaffung dieses Berufes. Das Heilpraktikergesetz definierte einerseits die Notwendigkeit, als nichtärztlicher Heiler - oder »Heilpraktiker« - eine Erlaubnis zu erhalten. Andererseits gab es keine Möglichkeit mehr, offiziell eine entsprechende Ausbildung zu absolvieren oder nach den Vorgaben dieses Gesetzes eine Prüfung ablegen und somit die notwendige Erlaubnis erhalten zu können.

Nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches wurde das HPG in der damaligen Fassung als unvereinbar mit dem Recht auf freie Berufswahl erkannt und demgemäß geändert. Ab 1957 wurde die Heilpraktikertätigkeit durch Rechtssprechung am Bundesverwaltungsgericht als eigener Berufsstand anerkannt.

Bis heute kann infolge des HPG nun also eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde beantragt und erworben werden. Voraussetzung hierfür ist vor allem das erfolgreiche Bestehen einer Überprüfung, die die Ungefährlichkeit für die Volksgesundheit sicherstellen soll.

Zum Selbstverständnis des Heilpraktikers

Sind Heilpraktiker eine Art "kleine Ärzte"? Nein, so einfach ist es natürlich nicht. Eine kleine Zusammenfassung des Berufsverständnisses aus meiner Sicht soll Ihnen einen ersten Eindruck dieser faszinierenden und unabhängig-selbstständigen Berufsklasse vermitteln.

Traditionell wurzelt das Berufsbild des Heilpraktikers in der philosophie- und erfahrungsorientierten Naturheilkunde im Strom der Jahrhunderte. In Europa reichen dessen Wurzeln mindestens zurück bis ins antike Griechenland. Neben gelehrten Ideen und Einflüssen stellt die schamanistisch und erfahrungsheilkundlich geprägte Volksmedizin eine wesentliche Nährquelle dar. Das alte Wissen der Alchemie findet ebenso seinen Niederschlag. Bis heute existieren Therapieverfahren, deren Verständnis ohne ihre Grundgedanken nur schlecht denkbar wäre. So stellt die Alchemie die geistige Mutter der heutigen Homöopathie und Spagyrik dar. Traditionelle und moderne Pflanzenheilkunde beruht im ganzheitlichen Sinne auf einem Fundament all dieser Aspekte: schamanistische, volksheilkundliche, alchemistische und modern-wissenschaftliche Einflüsse.

So vielgestaltig die heutige Naturheilkunde ist, liegt all den verschiedenen Methoden und Spezialisierungen ein gemeinsames Fundament zugrunde: ganzheitliches oder »holistisches« Denken. Nicht die Krankheit wird isoliert in den Mittelpunkt der Bemühungen gestellt, sondern der Mensch als Ganzes in seinem Gesund- und Kranksein. Dies trägt auch der Definition von Gesundheit aus Sicht der WHO Rechnung. Demgemäß ist Gesundheit ein Zustand des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens.

Heilpraktiker sind so gesehen also idealerweise Spezialisten »holistischer« Medizin bzw. der Naturheilkunde im weitesten Sinne.

Der Heilpraktikerberuf gehört heute, neben dem des Arztes, in Deutschland als Einziger zu den sogenannten »Heilberufen« im Sinne einer eigenverantwortlichen Ausübung der Heilkunde. Zu beachten dabei sind gesetzlich verankerte Rechte und Pflichten. So ist die Durchführung bestimmter Tätigkeiten der Ärzteschaft vorbehalten. Der Heilpraktiker unterliegt außerdem der Sorgfaltspflicht. Er muss die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der von ihm anwendbaren diagnostischen und therapeutischen Methoden genau kennen und beachten.

Unzweifelhaft stellt die heutige Heilpraktikerschaft in ihrer Vielfalt einen nicht wegzudenkenden Teil heilkundlicher Versorgung in Deutschland dar. Diese Tendenz dürfte in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter zunehmen.


Über die heutige Ausbildung der Heilpraktiker

Seit einiger Zeit steht das Berufsbild des Heilpraktikers in verstärkter öffentlicher Aufmerksamkeit durch diverse, regelmäßig wiederkehrende und zumeist negative Darstellungen in diversen Medien. Einige, wie die "Zeit", der "Stern" oder auch die "Süddeutsche Zeitung" fallen mir dahingehend besonders auf. Bezeichnenderweise kommen dabei eine Reihe der jüngst in Erscheinung getretenen, zumeist jedoch selbsternannten "Kritiker" des Heilpraktikerberufes besonders oft zu Wort oder werden als bekräftigende Referenz diverser Darstellungen zitiert. Ein oft angesprochener Kritikpunkt ist dabei die aus deren Sicht unzureichende Ausbildung der Heilpraktiker, die ebenfalls zumeist negativ dargestellt wird, aus meiner Sicht jedoch wesentliche und durchaus relativierende Zusammenhänge verschweigt.

In der Tat lassen aktuelle Entwicklungen ein intensivierendes Umstrukturieren der Ausbildungsanforderungen für Heilpraktiker sinnvoll erscheinen. Ein wesentlicher Grund dafür ist nach meiner Meinung auch die rasant fortschreitende Zeitqualität und die sich damit verändernden und wachsenden Anforderungen an den Berufsstand. Tatsache ist, dass die Heilpraktikerverbände schon lange Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen und u.a. mit Vertretern der Politik und der Ärzteschaft in entsprechender Kommunikation stehen.

Ein großes Problem scheint die mangelnde Durchregelung der Grundvoraussetzungen zur Erteilung der Heilpraktikererlaubnis zu sein. Aktuell gelten dafür die Vorgaben gemäß des Heilpraktikergesetzes (HpG) und der damit in Zusammenhang stehenden Durchführungsverordnung (DV):

  • Anwärter müssen das 25. Lebensjahr erreicht haben.
  • Sie müssen allerwenigstens eine abgeschlossene Volksschulbildung nachweisen.
  • Die sittliche Zuverlässigkeit muss gegeben sein.
  • Sie müssen gesundheitlich zur Ausübung des Berufes in der Lage sein.
  • Sie sollen die Heilkunde nicht neben einem anderen Beruf ausüben (nur in besonders begründeten Fällen, ansonsten nicht mit Artikel 12 des Grundgesetzes vereinbar).

Neben diesen grundlegenden Voraussetzungen müssen Heilpraktikeranwärter in einer schriftlichen und anschließenden mündlichen Überprüfung nachweisen, dass sie die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten haben, um keine »Gefahr für die Volksgesundheit« darzustellen. Dieser wichtige Punkt befindet sich aktuell in Überarbeitung: Neben der Volksgesundheit soll zukünftig explizit auch die Gesundheit des einzelnen Patienten, der den Heilpraktiker aufsucht, erfasst werden. Die neuen Leitlinien sollen durch das Bundesministerium für Gesundheit im Bundesanzeiger bekannt gegeben und ab diesem Zeitpunkt spätestens nach Ablauf von drei Monaten in Kraft treten. Die Bekanntmachung hat nach aktuellem Stand bis zum 31.12.2017 zu erfolgen.

Aus all dem geht hervor, dass derzeit keinerlei gesetzliche Regelungen existieren, die den Nachweis einer wie auch immer gearteten Berufsausbildung nötig machen. Wiewohl dieser Aspekt von Kritikern des Berufes - bis zu einem gewissen Grad durchaus zu Recht - am stärksten angegriffen wird, gibt es hierzu aus meiner persönlichen Sicht jedoch einige oft übergangene Gedanken zu ergänzen:

  1.  Es ist richtig, dass derzeit keine gesetzliche Regelung betreffend eines Ausbildungsnachweises existiert. In der Tat scheinen sich deshalb nach wie vor viele Anwärter zur Prüfung anzumelden, die im Vorfeld keine adäquate Ausbildung absolviert haben. Nach meiner Meinung dürfte dies die teilweise extrem hohen Raten an Prüflingen, die die Prüfungen nicht bestehen, mitbegründen. Zudem scheinen sich auch zahlreiche Prüflinge anzumelden, die glauben, eine vorausgegangene Ausbildung medizinischer Art, etwa in der Physiotherapie oder in der Krankenpflege, sollte ausreichen, die Überprüfung zum Heilpraktiker zu bestehen. Dem ist ganz offensichtlich zumeist nicht so.

  2. Die Inhalte der eigentlichen Überprüfung, deren Durchführung den Gesundheitsämtern obliegt, unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland: Die Durchführungsregelungen obliegen aktuell den Bundesländern. Der Grundanspruch ähnelt sich jedoch erwartungsgemäß. Als Beispiel der zu überprüfenden Kenntnisse werfe ich einen Blick auf die Anforderungen des Gesundheitsamtes München:

    - Berufs- und Gesetzeskunde, einschließlich Grenzen nichtärztlicher Ausübung der Heilkunde
    - Grenzen und Gefahren diagnostischer und therapeutischer Methoden der Heilpraktiker
    - Grundkenntnisse der Anatomie, pathologischen Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie
    - Grundkenntnisse der allgemeinen Krankheitslehre, Erkennung und Unterscheidung von Volkskrankheiten: insbesondere Stoffwechselkrankheiten, Herz-Kreislauferkrankungen, degenerative und übertragbare Krankheiten, bösartige Neubildungen sowie schwerwiegende seelische Erkrankungen
    - Erkennung und Erstversorgung akuter Notfälle und lebensbedrohlicher Zustände
    - Techniken der Anamneseerhebung
    - Methoden der unmittelbaren Krankenuntersuchung (Inspektion, Palpation, Perkussion, Auskultation, Reflexprüfung, Puls- und Blutdruckmessung)
    - Praxishygiene, Desinfektion und Sterilisation
    - Injektions- und Punktionstechniken
    - Deutung grundlegender Laborwerte

    (Quelle: Gesundheitsamt München - Merkblatt für die Erteilung der Heilpraktikererlaubnis)

    Unschwer ist zu erkennen: Ein derart umfassendes Anforderungsprofil an die »Kenntnisse und Fähigkeiten eines Heilpraktikeranwärters« erzwingt geradezu auf »indirektem Weg« sehr wohl eine entsprechend qualifizierte Ausbildung, auch wenn diese staatlicherseits (noch) nicht explizit gefordert wird. Genau das ist der Grund, dass es seit Jahrzehnten entsprechende Institutionen in Deutschland gibt, an denen derart grundlegende Ausbildungen absolviert werden können. Die Strukturierung dieser Ausbildungen ist naturgemäß unterschiedlich, ebenso die Inhalte der verschiedenen Lehrgangssysteme. Von Vollzeitschulen über Abend- und Wochenendsysteme bis hin zu Intensivkursen für Personen mit einschlägiger medizinischer Vorbildung gibt es zahlreiche Angebote.

  3. Art und Inhalt der verfügbaren Ausbildungssysteme unterscheiden sich also erheblich. Dies ist auch notwendig, denn viele Heilpraktikeranwärter haben viele unterschiedliche persönliche Voraussetzungen, was Vorbildung, aktuelle Berufstätigkeit, Anforderungen des täglichen Privatlebens usw. betrifft.

    Der Schwerpunkt liegt bei diesen Grundausbildungen - die in erster Linie dazu dienen, die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zum Bestehen der Heilpraktikerprüfung an sich zu vermitteln - naturgemäß auf den naturwissenschaftlich-medizinischen Grundlagen. Dennoch beinhalten einige Ausbildungssysteme bereits die Vermittlung grundlegenden naturheilkundlichen Wissens, denn der typische Schwerpunkt der Berufstätigkeit eines Heilpraktikers ist, wie oben dargestellt, die »Naturheilkunde« im weitesten Sinne. Erklärtes Ziel einer grundlegenden Ausbildung kann jedoch naturgemäß nicht die erschöpfende Vermittlung komplexen naturheilkundlichen Wissens sein. Einer der Gründe dafür ist die tatsächliche Vielgestaltigkeit und Richtungsspezialisierung dieses nahezu unüberschaubaren Wissensgebietes!

  4. Nach bestandener Prüfung entscheiden sich deshalb sinnvollerweise viele der frisch gebackenen Heilpraktiker, eine anschließende Ausbildung zur eigentlichen therapeutischen Berufstätigkeit zu absolvieren. Die zu belegenden Ausbildungen, die oft als weiterbildende Systeme ebenso von den gängigen Heilpraktikerschulen angeboten werden, richten sich selbstverständlich stark nach den Neigungen und persönlichen Interessen der neuen Heilpraktiker. Echte naturheilkundliche Therapiesysteme erfordern in der Regel entsprechend umfassende Ausbildungen. Diese können Bereiche wie die Phytotherapie, die klassische Homöopathie, die Physiotherapie und Osteopathie oder Systeme gänzlich anderer Kulturkreise umfassen: Etwa die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) oder das indische Ayurveda.

  5. Wiewohl ich persönlich keinen einzigen dieser Kollegen kenne, mag es sein, dass es Heilpraktiker gibt, die auf eine weiterführende Ausbildung welcher Art auch immer gänzlich verzichten. Eine gesetzliche Regelung im erklärten Sinne  gibt es nicht und kann es in vollständig erschöpfender Weise auch gar nicht geben. Dessen ungeachtet wird eine - »indirekt« eben doch - vorhandene Notwendigkeit einer adäquaten weiterführenden Ausbildung auf Grundlage mindestens dreier entscheidender Gedanken nachvollziehbar:

    a) Zur langfristigen Berufsausübung notwendige Kompetenz: Patienten merken sehr wohl, wenn ein Therapeut gravierende Wissens- und Fähigkeitslücken in seinem Beruf hat. Zu erwarten ist demnach, dass der wirtschaftliche Erfolg einer solchen Heilpraktikertätigkeit langfristig eher ausbleiben wird. Allein das ist eben für viele verantwortungsvolle Heilpraktiker ein guter Grund, adäquate Ausbildungen zu absolvieren. Weitaus schwerer wiegt jedoch für die meisten mir bekannten Kollegen die Verantwortung gegenüber dem Patienten, der sich ihnen anvertraut. Hier ist meiner Erfahrung nach ein hoher ethischer Standard in der Heilpraktikerschaft beobachtbar,  der für die allermeisten Kollegen als Motivator zur umfassenden Aus- und Weiterbildung bereits vollkommen ausreicht.

    b) Anforderungen der »Berufsordnung für Heilpraktiker«, beschlossen durch die Heilpraktikerverbände: Dort wird unter Umständen vom Heilpraktiker erwartet, sich nach bestem Wissen und Gewissen um die Belange seiner Patienten zu kümmern. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich ein intensives Hintergrundwissen- und Können. Dieses fällt niemandem in den Schoß! Es muss also erworben werden.

    c) Geltende Rechtssprechung: Anforderung der Sorgfaltspflicht an den Heilpraktiker. Dies ist ein ganz entscheidender Punkt, denn zur Sorgfaltspflicht des Heilpraktikers gehört unter anderem, dass er nur die Therapieverfahren anwendet, in denen er ausreichend geschult ist. Ist dem nicht der Fall, drohen rechtliche Kosequenzen von teils gravierenden Ausmaßen. Selbstverständlich ist das ein besonders starker Motivator für den einzelnen Heilpraktiker, seiner Aus- und Fortbildungspflicht genüge zu tun: Diese wird durch geltende Rechtssprechung juristisch vom Heilpraktiker eingefordert!

 

Fazit

Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass eine staatliche Forderung nach einer grundlegenden Ausbildung der Heilpraktikeranwärter zur Prüfungszulassung gerechtfertigt erscheint. Persönlich stelle ich mir das im Rahmen einer mindestens dreijährigen grundlegenden Berufsausbildung an einem anerkannten Ausbildungsinstitut zur Vorbereitung auf die Heilpraktikerüberprüfung vor. Entsprechende Institute gibt es bereits in Form zahlreicher, seit Jahren existenter und ausreichend renommierter Heilpraktikerschulen. Darüber hinaus kann es allenfalls noch sinnvoll erscheinen, grundlegend naturheilkundliches Wissen entweder im Rahmen einer solchen Grundausbildung oder auf Basis einer vielleicht ein- bis zweijährigen weiterführenden Ausbildung nachweisfähig zu erwerben.

Ganz allgemein verwahre ich mich dagegen, selbsternannten Kritikern des Heilpraktikerberufes ein wie auch immer geartetes Mitspracherecht zur Klärung von Ausbildungsfragen einzuräumen. Die Kompetenz dafür kann federführend ausschließlich bei den Heilpraktikerverbänden in Zusammenarbeit mit entsprechend qualifizierten Ärzten, zudem eventuell Juristen und Politikern liegen. In der Tat sind diesbezügliche Bestrebungen seitens der Heilpraktikerverbände seit Jahren ohnehin in Vorbereitung und werden aktuell intensiviert.

Während eine grundlegende Ausbildung zum Heilpraktiker - betreffend notwendiges naturwissenschaftlich basiertes Medizinwissen - gewiss bis zu einem gewissen Grad staatlich geregelt werden könnte, trifft dies für die naturheilkundliche Ausbildung der Heilpraktiker mit Sicherheit nicht zu. Neben naturwissenschaftlichen Ansätzen spielen für die Naturheilkunde im weitesten Sinne zahlreiche weitere Schwerpunkte eine wichtige Rolle, was Verständnis und Fähigkeit der einzelnen Therapeuten angeht. Dazu gehören auch geisteswissenschaftliche, philosophische und soziale Aspekte, vor allem aber auch das Wissen der individuelle »Erfahrungsheilkunde«, die eine ganz führende Rolle zu spielen hat! Ein solch umfassendes und obendrein zutiefst individuell persönlichkeitsabhängiges Fachgebiet kann nicht uniform unterrichtet werden! Andersartige Behauptungen, etwa diverser Skeptikergruppierungen, zeigen meiner Ansicht nach besonders deutlich die dort fehlende Kompetenz im Umgang mit der Naturheilkunde im Allgemeinen wie dem Heilpraktikerberuf im Speziellen.

Der tatsächlichen Fachspezialisten des Heilpraktikerberufes wie der echten Naturheilkunde im umfassendsten Sinne kann niemand anders, als die Heilpraktikerschaft selbst sein.

Hinzufügen möchte ich außerdem als persönliche Meinung, dass ein absolviertes Medizinstudium nicht automatisch zur adäquaten Beurteilung naturheilkundlicher Fragen befähigt. Auch eine vergleichsweise schnelle Facharztausbildung in dieser Richtung kann es nicht mit der umfassenden Tiefgründigkeit und Erfahrung etwa eines mit allen Wassern gewaschenen Heilpraktikers oder tatsächlich naturheilkundlich ausgerichteten Arztes aufnehmen. Solche Menschen blicken auf eine möglicherweise Jahre andauernde Ausbildungs- und Erfahrungszeit zurück - explizit das Thema ganzheitliche Naturheilkunde betreffend! Dies ist ein weiterer Grund, warum kompetenten Heilpraktikern, am besten organisiert über die Heilpraktikerverbände, das erste und letzte Wort zu Klärung all der bisher aufgeworfenen Aus- und Weiterbildungsfragen eingeräumt werden muss.

Über den Ausdruck "Naturheilkunde"

Die Interpretation des Ausdrucks »Naturheilkunde« fällt, entsprechend persönlicher Grundannahmen des Einzelnen, recht unterschiedlich aus. Die Meinung, dass es sich dabei um eine Art »Wildnismedizin« handeln würde, die dann etwa auf das Gebiet der Heilpflanzenkunde beschränkt sein sollte, solche Themen wie »klassische Homöopathie« aber ausschließe, ist beispielsweise vereinzelt anzutreffen. Derartiges Denken offenbart meiner Ansicht nach entscheidendes Fehlverständnis. Denn der Ausdruck »Natur« kennt mehrere Interpretationen, die allesamt Teil der deutschen Sprache sind und in diesem Sinne auch durch einen Blick in den Duden nachvollzogen werden können.

Neben der Bezeichnung »Natur« für die tatsächliche »Wildnis«, die Flora und Fauna, kennen wir beispielsweise auch die Interpretation als »Sinn«: etwa die »Natur einer Sache«, einer beliebigen Erscheinung, eines Gegenstandes, Lebewesens oder einer Idee, einer Argumentation, eines Berufes ... und dergleichen! Auch mit der Natur des Universums können wir uns sowohl naturwissenschaftlich als auch philosophisch auseinandersetzen. Der Ausdruck »Natur« darf ohne weiteres synonym zur Bezeichnung des Kosmos inklusive all seiner bekannten und nicht bekannten Erscheinungen darin und darum verwendet werden.

Im umfassendsten Sinne meint »Naturheilkunde« also tatsächlich eine »ganzheitliche«, eine holistische, maximal umfassende Heilkunde. Naturwissenschaftliche oder sogenannte »Schulmedizin« stellt sich hier als ein, wenngleich wichtiger, Teilaspekt solch eines Naturheilkundeverständnisses dar. Die verschiedentlich geäußerte Meinung, »Naturheilkunde sei ein winziger, obendrein heute wenig bedeutsamer Teilaspekt naturwissenschaftlicher Schulmedizin«, offenbart vor diesem Hintergrund ein bemerkenswert selbstüberzeugtes Fehlverständnis und Wissenslücken - zumindest aus philosophischer Sicht!

Echte ganzheitliche Naturheilkunde beinhaltet in der Tat eine ganze Reihe verschiedenster Denk- und Erfahrungsansätze natürlicher Behandlungsmethoden. So gesehen gehört dazu selbstverständlich auch die klassische Homöopathie, ebenso die Spagyrik, die physiotherapeutischen und manuellen Therapieverfahren, auch solche wie die TCM, das Ayurveda oder erklärt schamanistische Ansätze verschiedener indigener Ethnien. Nein: Ein »fehlender Wirksamkeitsnachweis« bzw. »fehlende Evidenz«, die heute oft als skeptisches Grundargument gegen eine eigenständige Naturheilkunde verwendet wird, ist eben kein Grund, solchen Methoden die Zugehörigkeit zur Naturheilkunde im holistischen Sinne abzusprechen. »Fehlende Evidenz« betrachte ich eher als Problem der Naturwissenschaft - denn als Problem der Naturheilkunde. Das zentrale Kennzeichen echter Naturheilkunde sind deren Wurzeln in der sogenannten Erfahrungsmedizin, die auf die ursprünglich philosophische Idee der »Empirie« - der eigenen und möglichst kontrollierten Erfahrung - zurückgeht. Diese ist im Übrigen ohnehin auch die Mutter moderner Naturwissenschaft. Das bedeutet aber nicht, dass sie mit der heutigen fundamental-statistischen Forderung nach Evidenz identisch ist.

Nebenbei ist es genau diese Notwendigkeit eigener Erfahrungen, die im Rahmen naturheilkundlicher Ausbildung eine entscheidende Rolle spielen muss. Das ist der Grund der erklärten Praxisorientierung einer guten Heilpraktikerausbildung ebenso, wie der späteren Berufstätigkeit: Nur in der tatsächlichen unvoreingenommenen Praxis naturheilkundlicher Methoden, im Anwenden, ständigen Beobachten und Hinterfragen kann echtes naturheilkundliches Wissen und Können erworben werden. Eine solche erfahrungsorientierte Ausbildung, die oft viele Jahre dauern muss, kann zudem natürlich nicht universitär verordnet und kontrolliert werden, oder »staatlich geregelt«. Am Ende entscheidet allein die persönliche Befähigung. In einer Gesellschaft, die für jede Ausbildungsqualifikation unterschriebene und möglichst zur Schau gestellte Zertifikate erwartet, ist das gelegentlich scheinbar nur schwer nachzuvollziehen. Das tut der Tatsache an sich aber keinen Abbruch.

Eine Naturheilkunde, die solch einer ganzheitlichen Sichtweise folgt, kann im Übrigen gar nicht guten Gewissens als »schulmedizinische Konkurrenz« aufgefasst werden. Sie betrachtet sich im Gegenteil als komplementär. Das beinhaltet, dass in dieser Sichtweise die Schulmedizin wiederum ein komplementärer Aspekt der Naturheilkunde sein muss.

Die Aufgabe des Heilpraktikers in diesem Sinne ist es eben in der Regel nicht, in Konkurrenz zur ärztlichen Schulmedizin zu treten. Seine Arbeit hat ganz andere Aufgaben! Sie stellt - gemäß den Ideen holistischer Naturheilkunde - den Menschen anstelle seiner Krankheiten in den Mittelpunkt des Geschehens! Diagnostik und Therapie manifest definierter Krankheiten stehen somit nicht im erklärten Zentrum heilpraktischer Aufgaben. Stattdessen wird versucht, durch Unterstützung des Menschen als Ganzes, als physisches, seelisches, geistiges und soziales Lebewesen, dessen selbstorganisierende Gesundheit zu erhalten oder die Selbstwiederherstellung durch Förderung von »Selbstheilungskräften« zu unterstützen. Dieses Tun kann sich selbstverständlich auf aktuell manifeste Krankheiten, solche akuter wie chronischer Art, positiv auswirken. Doch das - das Fokussieren auf »Krankheit« - ist nach meinem Verständnis nicht die erklärte Hauptaufgabe der Naturheilkunde.